Dienstag, 8. Februar 2011

Mythos Marktversagen - Wie die "Wohnungsnot" nach Zürich kam

Zurzeit findet sich kaum ein institutioneller Investor, der nicht in Zürich bauen möchte. Kein Wunder: Wohnfläche in der Stadt ist gefragt. Dies ist jedoch nicht zum ersten Mal so. Schon früher erlebte die Stadt Phasen extremer Wohnungsknappheit, allen voran die Jahre unmittelbar nach den Weltkriegen. So war die Leerwohnungsziffer in der kurzen Zeitspanne zwischen 1915 und 1918 von 3,2 Prozent auf weniger als 0,1 Prozent zurückgegangen. Gerade 25 Wohnungen standen Ende 1918 leer. Wie entstand diese „Wohnungsnot“ – und wie reagierten die damaligen Stadtbehörden? Manches wird den aktuellen Einwohnern der Stadt Zürich bekannt vorkommen.

Die gängige Meinung unter den Stadthistorikern über die Ursache der „Wohnungsnot“ lässt sich in den Worten des Historikers Bruno Fitzsche zusammenfassen: „In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der genossenschaftliche Wohnungsbau in erster Linie ein Ersatz für eine periodisch ungenügende privatwirtschaftliche Bautätigkeit“
. Gemäss dieser These versagte plötzlich der private Wohnungsbau und die grosse Nachfrage musste durch die öffentliche Hand und ihre Verlängerung, die Baugenossenschaften, gedeckt werden.

In der Tat wurden im Jahr 1918 weniger als 500 Wohnungen erstellt, bloss ein Viertel der Neubautätigkeit des Jahres 1913. Doch kaum jemand fragte sich, warum die privaten Bauherren, die Ende des 19. Jahrhunderts die Stadt Zürich innerhalb von wenigen Jahren aus ihrem Dornröschenschlaf gerissen hatten, trotz starker Nachfrage nicht mehr bauten.


Die Neugier war auch schon grösser gewesen. Im Jahr 1920 beauftragte der Schweizerische Verband zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus den aus der Ukraine stammenden Zürcher Ökonomen Manuel Saitzew mit einem Gutachten zu den Ursachen der Wohnungsnot. 
Saitzews meisterhafte Studie zeigte deutlich auf, dass die Ursache nicht in einer irrationalen Laune der Investoren gründete. Vielmehr war die Wohnknappheit die unmittelbare Konsequenz des massiven Eingriffes des Bundes in den Immobilienmarkt.

In den Kriegsjahren hatte die Inflationsrate rasch zugenommen. Zwischen 1914 und 1919 verdoppelte sich das allgemeine Preisniveau
. Dies veranlasste den Bundesrat, per Notrecht den Wohnungsmarkt zu regulieren und mit mehreren dringenden Bundesbeschlüssen wurde ab 1917 versucht, Mietpreissteigerungen zu verhindern.

Aus Sicht der Behörden war die Preispolitik ein Erfolg: die Mieten stiegen nur um 50 Prozent, vier Mal weniger als die allgemeine Inflationsrate. Doch es gab zwei unbeabsichtigte Konsequenzen. Zum einen wurde mit der Einführung der Mietkontrolle der private Wohnungsbau bald unrentabel, denn schnell überstiegen die Baukosten und die Löhne der Bauarbeiter und Handwerker – die der Inflation nicht entzogen worden waren – die erzielbaren Mieten bei weitem.


Im seinem Gutachten rechnete Seitzew vor, dass sich die Erstellungskosten eines Mehrfamilienhauses zwischen 1914 und 1919 beinahe vervierfacht hatten. Unter diesen Umständen war der Wohnungsbau zum Verlustgeschäft geworden und die private Bautätigkeit, die bis vor dem Krieg den massiven Zuwachs der Stadtbevölkerung ohne grösseren Schwierigkeiten gemeistert hatte, kam vollkommen zum Erliegen.


Die zweite unbeabsichtigte Konsequenz folgte aus der Veränderung der relativen Preise, d.h. des Mietpreises im Vergleich zu den übrigen Konsumentenpreisen. Die real stark verbilligten Mieten lockten Tausende von Landbewohnern in die Stadt. Noch nie war das Wohnen in der Stadt so günstig gewesen – und es kam zur Wohnungsnot.


Als Lösung sprangen diejenigen Behörden in die Bresche, welche die Wohnungsnot selber geschaffen hatten. Anstatt sich für die rasche Aufhebung der Mietkontrolle zu engagieren, förderte die Stadt Zürich aktiv die Gründung von Wohnbaugenossenschaften. Erst nach der teilweisen Abschaffung der Mietpreiskontrollen im Jahr 1922 nahm die private Bautätigkeit wieder zu.


Das gleiche Szenario wiederholte sich mit dem Zweiten Weltkrieg. Am 1. September 1939 wurde per dringenden Bundesbeschluss eine umfassende Mietpreiskontrolle wieder eingeführt. Die Mieten durften ohne Bewilligung der Behörden nicht überschritten werden. Wiederum waren die Kriegsjahre durch eine hohe Inflationsrate gekennzeichnet, wenn auch nicht so stark wie zwanzig Jahre zuvor. Zwischen 1939 und 1945 nahmen die Konsumentenpreise um 50 Prozent zu. Nicht aber die Mieten: Der Zürcher Mietindex blieb zwischen 1939 und 1945 praktisch unverändert.


Die gleiche Ursache zeigte die gleiche Wirkung. Als der Krieg zu Ende ging, lockten die real betrachtet sehr billigen Zürcher Mieten die Landbevölkerung der umliegenden Kantone in die Stadt. Wiederum wurden die Ursachen mit den Folgen verwechselt: Anstatt die Zunahme der Nachfrage auf die künstliche Verbilligung der Mieten durch die Mietkontrolle zurückzuführen, wurde die hohe Nachfrage als Zeichen der „Wohnungsnot“ interpretiert. Es kam zur zweiten Bauwelle der Baugenossenschaften.

90'000 Wohnungen über Nacht gebaut

Vor kurzem hat das Bundesamt für Statistik die Ergebnisse der neuen Wohnungszählung per Ende 2009 veröffentlicht. Diese basieren neu auf dem harmonisierten Gebäude- und Wohnungsregister (GWR). Dass im Vergleich zu den bereits publizierten Daten einige Veränderungen im Bestand resultieren würden, war ja zu erwarten. Dass man allerdings wie im Kanton Wallis gleich 12% mehr Wohnungen "findet" ist schon noch erstaunlich. Zumindest kann man Statistik Zürich ein gutes Zeugnis ausstellen. Schweizweit wurden somit "über Nacht" 90'000 Wohnungen geschaffen -- zwei Mal die durchschnittliche Jahresproduktion.



HT Peter Meier

Freitag, 4. Februar 2011

Seefeldisierung ist gut

Es ist Zeit, dass die Ökonomen das leidende Thema der Seefeldisierung in die Hand nehmen und Klartext reden. Urs Hausmann von der Immobilienberatungsfirma Wüest und Partner fängt mit diesem Interview an. Die grundsätzliche Frage bleibt die folgende: Wie viel ist den Stadtzürchern die Durchmischung von Haushalten mit tieferen und höheren Einkommen im gleichen Quartier wirklich wert? Denn der Preis der Durchmischung steigt proportional mit den Immobilienpreisen an. Ich bin auf die Reaktionen der Tagi-Leser gespannt.