Freitag, 19. August 2011

Neue Eigenmittelvorschriften: Eine Lösung auf der Suche nach einem Problem?

Der Bundesrat hat gehandelt. Unter dem Druck der Exportwirtschaft und kurz vor den Nationalratswahlen hat er Massnahmen vorgeschlagen, um das Ungleichgewicht zwischen Binnen- und Exportwirtschaft zu korrigieren. Darunter fällt auch eine überraschende Verschärfung der Eigenmittelvorschriften für jene Hypotheken, die über die üblichen Tragbarkeits- und Belehnungsgrenzen hinausgehen. Ich vermute, dass damit Kredite mit einer Belehnung über 85% und einer Tragbarkeit von mehr als 35% gemeint sind – so genannte Exception-to-Policy-Hypotheken.

Die Verschärfung der Eigenmittelvorschriften werte ich als eine kosmetische Massnahme, auch wenn die Wirkung auf das Kreditangebot selbstverständlich vom Ausmass dieser Verschärfung abhängig sein wird. Bereits heute hinterlegen die meisten Banken höhere Eigenmittel für dieses etwas riskantere Segment.

Man kann sich zudem grundsätzlich fragen, ob die vom Bundesrat (d.h. von der SNB) befürchtete übermässige Ausdehnung des Kreditangebotes eine reale Gefahr für die Schweizer Volkswirtschaft darstellt. Die jüngsten Daten der Kreditstatistik weisen auf eine bloss moderate Expansion des Hypothekarbestandes der privaten Haushalte hin. So sind die Hypothekarforderungen in den ersten fünf Monaten dieses Jahres lediglich um 1,7 Prozent gestiegen – von einem Boom kann also wirklich nicht die Rede sein.

Immerhin zielen die neuen Massnahmen nicht auf die Drosselung der Neubautätigkeit. Es wäre verfehlt, wenn die starke, fundamental bedingte Nachfrage nach Wohnraum nicht bedient werden könnte. Auslöser der Krise in den USA war nicht so sehr die übermässige Produktion von Wohnraum, sondern der Missbrauch des Hypothekarkredits als Finanzierungsquelle eines gigantischen Gelages. Zum Verhängnis wurden die zu lockeren Refinanzierungsbedingungen, nicht die Finanzierung des Neugeschäftes. Vielleicht haben unsere Behörden von der US-Krise tatsächlich etwas gelernt.

Freitag, 12. August 2011

Mieterverband widerlegt Gesetze der Ökonomie [ironisch]


Als gelegentlicher Blogger ist mir bewusst, dass jede Nachricht nach zwei Tagen kaum mehr erwähnenswert ist. Dennoch: mit den Ferien und dem schönen Wetter lässt meine Reaktionsgeschwindigkeit deutlich nach. Deshalb finde ich erst jetzt die Musse, die dürftige Replik von Niklaus Scherr, dem ehemaligen Geschäftsleiter des Mieterverbandes Zürich, in der NZZ am Sonntag vom 17. Juli zu den Thesen einer Avenir-Suisse-Publikation zu kommentieren.

Ein paar Anmerkungen scheinen mir hier dennoch angebracht, nicht zuletzt, weil mich als Hobby-Stadtökonom immer wieder fasziniert, wie Politiker die Gesetze der Ökonomie zu Gunsten ihrer Ideologie verdrehen. Zudem bin ich bereit zu wetten, dass, sobald der Schweizer Franken etwas schwächer wird, die Lage auf dem Wohnungsmarkt zum Thema Nr. 1 der kommenden Nationalratswahlen avancieren wird.
 
Im Artikel glaubt Scherr zu zeigen, dass „je höher der Preis, desto mehr Raum verschwendet wird“. Dass die NZZaS einen derart widersinnigen Titel abdrucken lässt, zeugt entweder von einem unaufmerksamen Lektorat oder von Gemeinheit gegenüber dem Autor. Zur scheinbaren Widerlegung des elementarsten ökonomischen Zusammenhanges führt Scherr das Beispiel der Genossenschaftswohnungen in Zürich an, deren Bewohner trotz tiefen Mieten ca. 20 Prozent weniger Fläche pro Person als auf dem privaten Markt beanspruchen (33 m2 statt knapp 40 m2).
Doch jeder versteht, dass, um in den Genuss stark subventionierter Wohnungen zu kommen, die Genossenschaftsmieter bereit sind, auf gewisse Kompromisse einzugehen. In einem älteren Blogeintrag habe ich geschätzt, dass die Mieter im gemeinnützigen Segment Abstriche auf ihren Wohnkonsum von sogar 50 Prozent hinnehmen würden, um weiterhin von den äusserst tiefen Genossenschaftsmieten zu profitieren. Im Übrigen stellt der tiefe Konsum per se nichts Positives dar. Der Wohnraumkonsum vieler Genossenschaftsmieter – insbesondere der Bewohner älterer Genossenschaftswohnungen – ist durch die Vorschriften der Baugenossenschaften stark rationiert. Damit entstehen bei diesen Mietern Wohlfahrtverluste. Im Klartext: Die Genossenschaftsmieter würden lieber - wenn sie könnten - etwas mehr ausgeben, um dafür in einer grösseren Wohnung wohnen zu können.
Die hohe Belegung der gemeinnützigen Wohnungen ist zudem kein Beweis dafür, dass die Genossenschaften den Boden effizient verwenden. Daten des Statistischen Amtes der Stadt Zürich belegen indessen, dass die bauliche Dichte der Wohnbaugenossenschaften in jedem Kreis der Stadt Zürich tiefer ist als jene der privaten Vermieter. Genossenschaften gehen also mit dem knappen städtischen Bauland verschwenderischer um als der Klassenfeind.

Weiter bestreitet Scherr im Artikel, dass die Genossenschaften subventioniert werden. Die Mieten würden die anfallenden Wohnkosten decken. Auch diese Behauptung ist nicht stichhaltig. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Wohnbaugenossenschaften von der Stadt Boden zu Vorzugskonditionen erhalten. Nach meiner Rechnung, welche einer einfachen Anwendung der Residualwerttheorie des Bodens zugrunde liegt, verzichtet die Stadt (d.h. die Zürcher Bevölkerung) damit jedes Jahr auf Einnahmen von ca. 200 Millionen Franken. Zwar übersieht Scherr diese Opportunitätskosten komplett, dennoch bleiben sie real.
Der Artikel endet – nebst persönlichen Attacken gegen den Autor der Avenir-Suisse-Studie – mit einer Lobeshymne auf die Durchmischung, die wir angeblich ausschliesslich den gemeinnützigen Eigentümern zu verdanken hätten. In Wahrheit unterscheidet sich die Mieterschaft der Stadtzürcher Genossenschaften punkto Einkommen und Vermögen kaum von den übrigen Mietern. Wenn überhaupt ist sie homogener (der Anteil der Schweizer ist beispielsweise massiv höher) und sesshafter, was einer hohen Durchmischung eher hinderlich ist.
Was Durchmischung wirklich heisst, liegt sowieso im Auge des Betrachters. Fest steht allerdings, dass der ehemalige Chef des Mieterverbandes nicht so sehr das Interesse der Zürcher Mieterinnen und Mieter – oder gar der Stadt Zürich – im Auge hat, sondern vor allem jenes seiner privilegierten Klientel.