Montag, 19. Juli 2010

Der Boden ist knapp, die Arbeit ist knapper

Wer ein Buch eines klassischen Ökonomen à la Smith, Ricardo, Mills oder Marx öffnet - lesen wäre zu viel verlangt -, merkt sofort, dass auffallend viele Seiten dem Thema Boden gewidmet sind. So findet sich bereits im zweiten Kapitel von David Ricardos Meisterwerk "On the Principles of Political Economy and Taxation" (1817) eine ausführliche Diskussion der Bodenrente. Wie Martin Wolf, Chefökonom der Financial Times, kürzlich in einem Artikel bemerkte, sucht man in den modernen Ökonomielehrbüchern vergebens Referenzen dazu. Heute wird die Produktion als blosse Funktion von Arbeit, Kapital und Wissen dargestellt. Der Faktor Boden wird nicht mal erwähnt. Warum das, fragt Wolf?

Meine Antwort ist folgende: Sogar in der kleinen Schweiz hat Boden als Produktionsfaktor relativ zum Faktor Arbeit stark an Bedeutung verloren. So stellt das Einkommen aus Vermietungen nur einen kleinen Teil des Volkseinkommens dar (leider finde ich die genaue Zahl nicht mehr.) Der reine Bodenanteil macht zudem bloss ca. ein Viertel dieses Betrages aus - der Rest wird für Wände, Küche und Komfortlüftung ausgegeben. Weiter hat die Bedeutung der landintensivsten Produktion -- die Landwirtschaft -- seit der Zeit der Klassiker kontinuierlich abgenommen. Der Engpass ist nicht mehr der Boden, es sind die Arbeitskräfte.
Dieses Muster gilt plus/minus für alle entwickelten Volkswirtschaften (hier ein Paper zur Lage in den USA). Es kann gut sein, dass sich die Situation in Zukunft ändern wird und Boden - wie von Wolf vorhergesagt - ein Comeback feiern wird. Die Lehrbuchautoren werden aber genug Zeit haben, die neuen Auflagen sorgfältig vorzubereiten.
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