Samstag, 27. November 2010

Die neue Parkplatzordnung ist bereits veraltet

Eine Version dieses Artikels ist am 25. November 2010 in der Neue Zürcher Zeitung erschienen.

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Wie viele Parkplätze braucht Zürich? Städtebaulich ist diese Frage von grundlegender Bedeutung. Die Verfügbarkeit von Abstellplätzen ist ein zentraler Faktor für die Attraktivität einer Stadt als Einkaufs-, Arbeits- und Wohnstandort. Zu viele Parkplätze führen zur Verödung des öffentlichen Raumes. Es wird kostbarer Boden verbraucht, der anderweitig hätte genutzt werden können – beispielsweise für Wohnhäuser. Auf der anderen Seite ist ein Mangel an Parkplätzen mit Kosten für die Stadt und ihre Einwohner verbunden. Läden und Arbeitsplätze wandern in die Agglomeration aus, wenn ihre Erreichbarkeit stark beeinträchtigt wird. Mit der Zeit verliert die Stadt an Substanz, nicht nur finanzieller Art. Ohne eine lebendige Innenstadt würde "Downtown Switzerland" jenen Schlafgemeinden ähneln, die Stadtzürcher meistens verschmähen. Der öffentliche Verkehr kann dabei realistischerweise nur ein Teil der Antwort sein. Gerade Familien schätzen die Flexibilität und Bequemlichkeit des Autos.  

Wie lässt sich dieser heikle Zielkonflikt lösen? Zürich hat einen klaren Weg eingeschlagen – Parkplatznachfrage und Angebot sollen per Dekret in Einklang gebracht werden. So schreibt die neue Parkplatzverordnung, welche am 28. November zur Abstimmung gelangt, vor, dass pro 120 Quadratmeter Wohnfläche ein Privatparkplatz gebaut werden muss.  
Ist diese Zahl angemessen? Daran ist zu zweifeln. Auch kompetente Behörden wie die Stadtzürcherischen sind nicht in der Lage, die "richtige" Zahl festzulegen – genauso wenig wie sie uns sagen können, wie viele Paar Schuhe ein Haushalt zu besitzen hat oder wie oft wir ins Opernhaus gehen sollten.  
Mit einer gesunden Mischung aus Markt und Planung liesse sich jedoch ein effizienteres und einfacheres System realisieren. In den groben Zügen kann es sich mit zwei Massnahmen zusammengefasst werden.  

1. Das private Parkplatzangebot wird dereguliert.  

Die Eigentümer sind am besten in der Lage abzuschätzen, wie viele Parkplätze sie ihren Mietern zur Verfügung stellen sollten. Wer glaubt, Zürich würde sich augenblicklich in einen gigantischen Parkplatz verwandeln, täuscht sich. Genau das Gegenteil würde eintreffen. Bereits heute rentieren an vielen städtischen Lagen Parkplätze deutlich weniger als Wohnraum. Von der starren 120 Quadratmeter-Regel befreit, würden viele Immobilieninvestoren dichter bauen und das Wohnangebot zulasten der Autoabstellplätze erweitern, was sich letztlich in tieferen Mieten niederschlagen würde.

Diese Massnahme allein reicht jedoch nicht aus. Ohne Parkplatzpflicht würden die privaten Eigentümer das Parkplatzproblem auf den öffentlichen Raum verlagern. Wie kann man dann vermeiden, dass zu viel öffentlicher Raum als Abstellfläche in Anspruch genommen wird? Hier setzt die zweite Massnahme an.

2. Parkplätze auf öffentlichem Grund werden so bepreist, dass jederzeit 15 Prozent der Plätze frei sind.

Die mangelnde Verfügbarkeit an Parkmöglichkeiten verursacht Suchverkehr. Studien zeigen, dass ein Drittel des Stadtverkehrs durch Autofahrer auf Parkplatzsuche zurückzuführen ist. Es wird geschätzt, dass ein Parkfeld im Grossstadtzentrum jährlich einen Suchverkehr in der Höhe einer halben Weltumrundung verursacht – mit den entsprechenden Lärm- und CO2-Emissionen (Update: Ich habe mich da verrechnet. Es sind um die 5 bis 10 Parkplätze im Zentrum, die möglicherweise so viel Suchverkehr generieren.). Laut Verkehrsexperten ist eine Parkplatzverfügbarkeit von 15 Prozent optimal, weil damit der Suchverkehr weitgehend reduziert wird, ohne die Parkplatzbelegung allzu stark zu beeinträchtigen.

Wie soll die Belegung erreicht werden? Am besten über den Preis. Stau und Suchverkehr in der Innenstadt bei gleichzeitig schlecht belegten Parkhäusern sind ein unverkennbares Symptom zu tiefer Gebühren für Parkplätze am Strassenrand. Diese sollten solange angepasst werden, bis die optimale Belegung von 85 Prozent jederzeit erreicht wird. Wo Parkplätze überwiegend leer stehen, sollten die Gebühren gesenkt werden.

Mit der Kombination von lageabhängigen Gebühren für Parkplätze auf öffentlichem Grund und der gleichzeitigen Befreiung der Eigentümer von der Mindestparkplatzzahl lässt sich eine Politik realisieren, die von den Bedürfnissen der Stadtbewohner ausgeht. Weil Wohnraum zusehend knapp ist, könnte sie manche Haushalte dazu veranlassen, auf ein eigenes Auto gänzlich zu verzichten.

Raumplanung und Städtebau haben die Parkplatzfrage oft stiefmütterlich behandelt. Die Stadtarchitekten beschäftigen sich lieber mit der Entwicklung neuer Quartiere als mit der Abschätzung der Parkplatznachfrage. Diese gehört nicht zu ihren Kernkompetenzen. Die hier vorgestellten Massnahmen sind nicht neu. Sie wurden erstmals von Douglas Shoup, Guru der Parkplatzökonomie, vor bald 15 Jahren vorgeschlagen. Sie werden neuerdings in San Francisco eingeführt – Zürichs Partnerstadt.
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