Freitag, 1. Oktober 2010

Tückische Leerwohnungsziffer

Am kommenden Montag wird das Bundesamt für Statistik in Neuchâtel die neue Statistik der leerstehenden Wohnungen veröffentlichen. Ich erwarte keine grossen Veränderungen - 2009 lag die Leerwohnungsziffer bei 0,9 Prozent.

Die offizielle Leerwohnungsstatistik des BFS wird gemeinhin als Indikator für die Verfügbarkeit von Wohnraum interpretiert. Die am Montag veröffentlichte Zahl stellt jedoch in vielen Regionen kein aussagekräftiges Mass für die Verfügbarkeit von Wohnraum dar. Nicht zuletzt dank Online-Inseraten konnte die Zeit zwischen zwei Vermietungen in den letzten Jahren stark reduziert werden, so dass es meistens zu einem Mieterwechsel ohne Leerstand kommt.

Weiter registriert die amtliche Statistik nur die Zustände am Erhebungstag (1. Juni). Die Verfügbarkeit von Wohnraum hängt jedoch auch von der Geschwindigkeit ab, mit der leer stehenden Wohnungen vom Markt absorbiert werden bzw. wieder vermietet oder verkauft werden. In den Grossstädten bleiben Wohnungen bekanntlich weniger lange leer als an peripheren Lagen. Der tiefere Leerwohnungsbestand in den Städten wird also mindestens teilweise durch den hohen Umschlag der Wohnungen wettgemacht. Dies wäre zu berücksichtigen, wenn auf dieser Grundlage sinnvolle Vergleiche zwischen den Kantonen oder zwischen den Gemeinden angestellt werden müssen.

Ein Beispiel kann die Interpretationsprobleme der Leerwohnungsziffer am besten verdeutlichen. Der Kanton Genf weist eine Leerwohnungsziffer von 0.2% auf, drei Mal tiefer als in den Kantonen Basel Stadt und Basel Land, wo sie insgesamt 0.6% beträgt. Der Wohnungsbestand ist in Genf und in den beiden Basel in etwa gleich gross. Darf man also sagen, dass es drei Mal mehr Möglichkeiten gibt, in einem bestimmten Jahr eine leere Wohnung in Basel zu finden? Keineswegs. Auf homegate.ch beträgt die Verweildauer einer Genfer Mietwohnung durchschnittlich 10 Tage – in der Region Basel sind es 30 Tage. Nimmt man an, dass die 496 am 1. Juni 2010 leer stehenden Genfer Wohnungen nach 10 Tage einen Nachmieter gefunden haben, beträgt die Anzahl der in einem Jahr im Kanton Genf neu belegten Wohnungen 18'100. In den beiden Basel sind es 20'100 – also nur unwesentlich mehr.

Die Tücken der Leerwohnungszählung sind insbesondere in der Stadt Zürich auffallend, wo am 1. Juni offiziell nur 136 Wohnungen leer standen. Am gleichen Tag waren jedoch alleine auf homegate.ch 1'071 Wohnungen zur Vermietung ausgeschrieben. Die von der offiziellen Statistik suggerierte Wohnungsknappheit ist also zu relativieren: in der Stadt Zürich dürfte die tatsächliche Verfügbarkeit von Wohnraum zehn Mal höher liegen als durch die Leerwohnungsziffer impliziert.
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